Vor ca. drei Jahren hatte ich am Ende eines Seminares das Glück, mich kurz mit der anwesenden Gebärdendolmetscherin zu unterhalten. Sie zeigte mir auf meinen Wunsch hin das „Herzlich Willkommen“ (welches die zwei wichtigsten Wörter an der Rezeption sind, oder zumindest sein sollten ;-)) in Gebärdensprache. Doch seitdem kam ich im Arbeitsalltag der Hotellerie nie in die Situation, diesen Ausdruck einmal anwenden zu können. Warum eigentlich?
In Deutschland leben laut Statistisches Bundesamt 7,8 Millionen Menschen (zum Ende des Jahres 2022) mit einer schweren Behinderung (Grad der Behinderung von mindestens 50 %). Das sind fast 10 % der Gesamtbevölkerung! Ehrlich gesagt, hätte ich nicht gedacht, dass dieser Anteil so groß ist.
Nun gibt es viele verschiedene Arten einer Behinderung, und etliche davon sieht man den meisten Menschen auch erstmal gar nicht an. Im Hotel hat man ab und an mal einen Schwergeschädigtenausweis in der Hand (z.B. für eine Ermäßigung der Kurtaxe), aber ich kann nicht behaupten, dass es jeder 10. Gast wäre. Worauf ich hinaus will – (nicht nur) die Hotellerie & Gastronomie sind noch immer nicht barrierefrei genug für Menschen mit Behinderung und daher ist diese Gästegruppe unterrepräsentiert.
Natürlich ist es in vielen älteren Gebäuden schwierig bis unmöglich, auf Barrierefreiheit umzurüsten (was übrigens nicht nur mit Stufen, Treppen etc. zu tun hat). Und selbst wenn man es als Besitzer bzw. Betreiber doch schafft – wie kommuniziere ich diese Barrierefreiheit richtig an die Gäste? Und für wen genau ist man barrierefrei? Für Sehbehinderte? Für Gehbehinderte? Oder sogar für Rollifahrer? Oder auch für Gehörlose?
Um ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen und auch um die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen umzusetzen, wurde das Projekt „Einführung des Kennzeichnungssystems ‚Reisen für alle‘ im Sinne eines Tourismus für Alle in Deutschland“ initiiert. Förderer ist dabei das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
Worum geht es in diesem Projekt?
‚Reisen für alle‚ ist ein bundeseinheitliches Kennzeichnungssystem, welches es ermöglicht, Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen schnell, übersichtlich und verlässlich beispielsweise ein Hotel oder andere touristische Einrichtung zu finden, die speziell auf seine/ihre Bedürfnisse ausgelegt sind.
Dafür gibt es ein Siegel in Deutschlandfarben, welches anzeigt, ob „Informationen zur Barrierefreiheit“ vorliegen oder ob der Betrieb sogar auf „Barrierefreiheit geprüft“ ist. Letzteres unterteilt sich in zwei Qualitätsstufen: „teilweise barrierefrei“ und „barrierefrei“. Damit man weiß, für welche Personengruppen die Zertifizierung dient, gibt es sieben verschiedene Piktogramme, wie z.B. für Menschen mit Hörbehinderung oder für blinde Menschen.
Denn für jede dieser sieben Personengruppen bestehen natürlich unterschiedliche Anforderungen an den Betrieb. So muss für die geprüfte Barrierefreiheit bei Menschen mit Hörbehinderung beispielsweise im Fahrstuhl eine optische Bestätigung erfolgen, sobald der Gast den Notknopf betätigt hat (damit derjenige auch weiß, dass der Alarmknopf funktioniert). Oder für blinde Menschen muss im Fahrstuhl (bei mehr als zwei Etagen) die jeweilige Etage akustisch angesagt werden, um als barrierefrei geprüft zu gelten.
Der ein der andere Unternehmer mag sich jetzt denken, dass das nach einer Menge Aufwand klingt. Man muss sich ja auch nicht gleich für alle sieben Gruppen vollumfänglich prüfen lassen – ein Anfang wäre schon nicht schlecht. Denn man bedenke: jeder von uns wird älter (25 % der Menschen mit Schwerbehinderung sind Ü 65 Jahre) und möchte auch dann noch am Leben aktiv teilhaben, wie z.B. durch Reisen. Und auch schon vorm Renteneintritt kann man einer Behinderung erleiden. Selbst wenn nicht – die 10 % der Bevölkerung, die Behinderung haben, möchten genauso gern Barrieren überwinden, von denen es im Leben schon viel zu viele gibt.